Schütze, der im Dunkeln wacht … Freischütz 023

Erste Opernpremiere Spielplan 023 / 24

Eine noble Geste als Auftakt noch vor dem Vorspiel: Intendant Schneider (Regie & Umarbeitung) widmete die Premiere dem eben erst verstorbenen Sänger Stephen Gould (-Max, der letzten Linzer Freischütz-Inszenierung)

Dann setzt die Musik ein und zum Motiv des Waldes und den Hörnern der Jagd, sah man wie es sich eine dunkle Gestalt (Luzifer/Samiel Sven Mattke) am offenen Kamin (im „Overlook?) gemütlich einrichtet

Das Böse ist immer und überall

Auf dem Nesselvorhang: Eine Filmszene aus heutiger Zeit, in der Kaspar (Nebenbuhler von Max) von der angebeteten Agathe brüsk zurückgewiesen wird. Das Schicksal nimmt seinen wohl bekannten Verlauf, der durch Untertitel untermauert wird. Eine >Ins-Heute-Holung< des Stoffs war so zu befürchten, blieb aber aus, entwickelte sich zeitlich neutral im Ungefähren und zwar im satanischen Heimkino des „Schwarzen Jägers“, der vom Kaminfauteuil aus jederzeit den Opernfilm stoppen, oder sich auch selbst in diesen als Spielfigur einbringen konnte. Auch den Protagonisten war es möglich (wie im 3D-Kino) in Teufels Küche zu gelangen. – So auch Max (Timothy Richards), der nach beachtlich vorgetragener „Verzweiflungsarie“ an der diabolischer Bar von Kaspar zum Pakt mit dem Herrn des Hauses verführt werden sollte. In seiner Rachearie bewies Konkurrent Kaspar (Michael Wagner), dass ihm gemeinsam mit dem Damen-Duo sängerisch die Show des Abends gehört.

Wunderbar fügen sich Bach/Luther & in kurzen Sequenzen Penderecki (Horrorfilm-musikerprobt) ins Webersche Werk … Markus Poschner und unser aller Brucknerorchester machen dies in gewohnter 1A-Qualität möglich.

Der Satan riecht den Braten

Was ein echter Antichrist ist, der lässt kein Ahnenbild von der Wand, sondern gleich Jesus den Herrn von einem Nagel auf die arme Agathe stürzen, die dann von Ännchens begeisterter „Burschenphantasie“ zur Beruhigung abgelenkt werden sollte und dabei nicht nur das Publikum verzückte, sondern auch den teuflisch schöne eleganten Knaben, welcher sich vom Kamineck zum Casanova aufschwang: Der gefallen(d)e „Blackangel“ nützte das Momentum gnadenlos aus und nahm Besitz von der jungen Frau, während Agathe (Erica Eloff) ihre „Leise. leise Weise“ aufblühen ließ (finaler Szenenapplaus). Als nunmehr besessenes Wesen bringt Ännchen permanent Unruhe in Agathes sterile, kleine Försterwelt, ebenso wie der kurzzeitig euphorische Max, der ebenda einen Boxenstopp vor der Wolfsschlucht einlegt.

Gefahr für Agathes kleine Welt in unschuldig strahlendem Weiß (Winkler)

Schütze, der im Dunklen wacht, Samiel, Samiel, hab acht! Steh mir bei in dieser Nacht, bis der Zauber ist vollbracht!

Welcher Zauber? Entgegen jeglicher Erwartungshaltung wird bei der sonst echt spannend, stimmigen und schlauen Linzer Inszenierung desillusionierend bloß eine Wildsau ausgenommen. Zuvor hatte sich die Bühne extra in eine Bretterschlucht verwandelt, auf die sich herrlich projizieren ließe und dahinter schien es schon verheißungsvoll grünlich durch. Normalerweise überschlägt sich die Regie in der Wolfsschluchtszene konzeptionell, (in der Personenführung) und steuert mit einer Explosion von Einfällen auf den Höhepunkt des Stücks zu … In Linz rückt man mit dem Tranchiermesser einem an Ketten aufgehängten „Schwarzkittel“ zu Leibe, der diabolisch mit Freikugel gespickt ist, die diesem der Reihe nach entnommen werden. Pfui Teufel? – Keine Angst: No real Splattermovie ! Anfangs passiert dabei (wie auch davor in der „Gott-verlassenen Gegend“) rundum gar nix. Ab der 5. Zaubermunition beginnt es zaghaft zu flackern bevor bei Projektil Nr. 7 nicht unerwartet (aber doch deutlich) Samiel zum Höhenflug ansetzt und kurz verharrt – das einzige >Highlight< dieses optisch eher schwachen Finales, zur sonst doch sehr positiv durchwachsenen ersten Halbzeit … Ganz wesentlich: Die Ohren bekamen sehr wohl u. a. auch eine perfekte Wolfsschlucht geboten – das war auch zu erwarten – schließlich hat der Namensgeber des Orchesters in Bad Kreuzen einst in seiner dortigen Wolfsschlucht das Anekdotenangebot bereichert …

Mittels Achim Freyers legendärer Inszenierung (Stuttgart 1981 mit Dennis Russell Davies) machte ich über Jahrzehnte meine SchülerInnen mit Webers Werk bekannt. Beim Kugelsegen muss sich eine geisterhafte Szene von Kugel zu Kugel immer mehr beleben, sodass am Schluss (wie bei Freyer) im wahrsten Sinne des Wortes die Wände wackeln – Höllische Action, die nicht nur bei Kindern und Halbwüchsigen eine entsprechendes Echo (!) auslöst …

Der Blog-Autor mit Achim Freyer (Regie auch bei Ph. Glass) im Gespräch

Kein Freischütz von der Stange, sondern vom Schneider

Nach der Pause nahm die Linzer Premiere in Dichte und dramaturgischer Konsequenz Fahrt auf und konnte restlos überzeugen: Schon die Idee den „Schwarzen Bengel“ mit der Sense Blumen mähen zu lassen, als Materialbeschaffung für den Jungfernkranz war schon von der Absicht herrlich hinterfotzig. Schlichtweg genial geriet die Mutation des karg biederen Försterhausstübchens zum „Exorzistenkämmerchen“ aus der SW-Stummfilmära. Von wegen Stumm: Fenja Lukas übertraf alle noch so hoch gesteckten Erwartungen mit einer von der Soubretten-Romanze zur Koloraturarie auftoupierten Variante des Traums der seligen Base und ihrem schauspielerischen Talent als besessenes Ännchen – Großartig ! Köstlich auch der Chor der paradiesisch (vor der) „Schlange-stehenden Brautjungfern“!

Wenn zum Teufel Feuer nicht nur aus dem offenen Kamin, sondern auch aus dem offenen Flügel lodert, wenn hinter dem putzig spielenden und hervorragend singenden Jägerchor Agathe als Schießbudenfigur statt Reh, Hase oder Taube durch Egoshooter Max in Angst und Ohnmacht versetzt wird, der „Gottseibeiuns“ mit seinem >Deus ex machina< beim Brettspiel das Finale ausschnapst, dann kann getrost der Vorhang fallen. Die Buhrufe waren unangebracht !!! – Die vorhandene >Wolfsschlucht poor< aber auch ! Hingehen – Uuuuunbedingt anschauen – ein absolutes MUSS für musikbegeisterte Horrorfans und solche die es dadurch werden könnten <<<

Man kann der Regie, dem Maestro samt Orchester & Chor – sprich dem gesamten Team nur herzlich gratulieren & danken !!!

Dieter Dorns Stube der Senta (Postkarte)

Angestiftet durch das Bühnenbild von Agathes Linzer Försterstübchen, das den Blogautor heftig an die fliegende Behausung von Senta in der Bayreuther Holländer-Inszenierung Dieter Dorns erinnerte hing dieser noch nach Mitternacht folgenden Gedanken nach:

„Der Freischütz“ Carl Maria von Webers (per Cousine Constanze verwandt mit deren Mann Wolfgang Amadeus Mozart) ist der Inbegriff der Frühromantik – beispielgebend für den Jungspund Richard Wagner, der seinem „Fliegenden Holländer“ nicht erst bei der Flucht nach England auf dem Seelenverkäufer „Thetis“ im Sturm bei Skagerrak und Kattegat begegnete, sondern bereits im Geist und der Musik jenes Werks, welches Weber unsterblich werden ließ.

Ein „Freischütz des Ozeans“

Als Kind war der kleine Richard in Dresden am Weg ins Theater oft beim Haus von Carl Maria Weber vorbeigekommen. Dabei konnte er Eindrücke von dessen genialer „Gespensteroper“ „Freischütz“ erhaschen. Jahre später kommt es hier an der Elbe zur ersten Aufführung des Holländers – einem Werk des gleichen Genres, das mit vielen Parallelen aufwarten kann: Schon bei der Ouvertüre geht es in beiden Fällen motivisch mit der „Verortung“ los – Ist es im einen Fall eine riesige schwarze Fläche, die immer näher kommt, bis man auf einer Lichtung in jenem Wald Jagdhütten, ja ein Dorf erkennen kann, so ist es bei Wagner das Grau des Sturms und wilden Meers. Es folgen musikalisch die Personenmotive der Agathe bzw. der Senta, sowie des Max und des Holländers, bevor eine „Durchführung“ in beiden Opern zum Schluss mit Motiven von Agathe und Senta überleitet … Nach Ensemble-Szenen da wie dort werden die Männer-Rollen vorstellig, erst im 2. Teil folgen die Frauen-Szenen und was des einen „Wolfsschlucht“, ist  des anderen „Geisterchor“ …

Da bläst es aus dem Teufelsloch heraus … *** … Samiel herbei !

I had a Nightmare-Dream

Wenige Wochen nach dem Tod des Eremiten verlässt Agathe mit ihrem Vater das winzige Dorf in den Wäldern Nordböhmens, um die Vergangenheit abzustreifen und an der Küste Norwegens eine neue Identität anzunehmen. Der ehemalige Erbförster übernimmt kühn Schiff und Namen des Oheims Daland, Ännchen eröffnet unter ihrem zweiten Vornamen Mary eine Spinnerei und Agathe, die sich nun Senta nennt, versucht sich selbst zu therapieren, schafft es aber nicht ihrem Alptraum zu entfliehen. Stundenlang sitzt sie starr im langen weißen Büßergewand, wie ein kleines Täubchen verloren in der weiten Halle der Spinnerei vor einem übergroßen, dunklen Wandgemälde, das eine schwarze Figur mit roten Farbspritzern zeigt … Max, der sich am Ende des Probejahrs erschossen hatte, wird abgelöst durch den norwegischen Jäger Erik, der für das Unternehmen Daland arbeitet und sich in die abweisende Tochter des neuen, alten Kapitäns verliebt – auch Erik hat einen Traum …

Vor 30 Jahren hatte ich das Vergnügen mit einem ambitionierten SchülerInnenteam ein „Holländer-Video“ zu drehen:

(oben beim Titel des Beitrags anklicken …)

Manfred Pilsz

Radio zu Brucknerjubiläum & Theaterspielplan: https://cba.fro.at/620071

Radio-Projekt zu Bruckner024: https://www.anton-bruckner-2024.at/ooe-kulturexpo/

Die Meistersinger von Linz

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