Dieser BLOG–Beitrag hätte sich Lektüre & Betrachtung auf einem großen Screen verdient
„Winterreise?“ – Was hat das mit Mahler zu tun? Ja, natürlich ist es ein „Liederzyklus“, aber doch wohl von Franz Schubert und nicht von Gustav Mahler ! – Gibt es Parallelen zwischen den „Liedern eines fahrenden Gesellen“ und dem Schubert´schen Werk?
Bereits das Mahler-Protokoll 1997 hatte sich beim Festival Toblach mit dem Thema „Mahler und Schubert“ beschäftigt und 2009/10 war nicht der erste Anlauf gewesen die 4 Lieder Mahlers zu visualisieren. Initialzündung waren die Arbeiten von Ken Russell und Titus Leber mit seiner Version der Kindertotenlieder. Bereits Ende 80 entstand das Video „Was mir der Tod erzählt“, das dann wenig später 1990 als Coverstory des Film+Video-Magazins zu bewundern war …
LINZER GUSTAV MAHLER VISUALISIERUNG ZUM 100. TODESJAHR
Zum Mahler-Doppeljubiläum 2010/11 (150. Geburtstag / 100. Todestag) entstand in den Studios des Fadinger Mediengyms Linz eine Visualisierung der „Lieder eines fahrenden Gesellen“. Das junge Team konnte einen Großteil der Videoaufnahmen in optimalen Winterlandschaften und im dafür extra präparierten Festsaal erfolgreich abwickeln. Die musikalische Ausgangsbasis bildete eine alte Konzertaufnahme des BLOG-Autors, der auch die Regie bei den Filmarbeiten übernahm.
Begonnen hatte man mit dem Mahler-Projekt in der Erschöpfungsphase des sich in seligem Wohlgefallen auflösenden Linz09-Jahres. So beendete ein plötzlich einsetzendes Schneetreiben die Lateinstunde der „Tödin“ Hannah. Sie und Mahler-Darstellerin Astrid drehten bereits eine halbe Stunde später in der Kirche beim Aloisianum, um wenig später am Pöstlingberg vor der Mariengrotte im winterlichen Wald weiterzumachen. Eine ältere Pilgerin mit Kerze sorgte für die erste Drehpause bevor es wenig später weiterging ins Mühlviertel, wo die Stifter-Linde in Kirchschlag für die Todesszene und später noch einmal im Mai für das „Lindenbaummotiv“ im vierten Gesellenlied des Komponisten herhalten musste …
Der erste Drehtag endete mit der Erkenntnis den so wunderbar gedrechselten Wanderstab auf einer eiskalten Wiese liegen gelassen zu haben, was eine sofortige zweite Fahrt vor der schnell anbrechenden, Dezember bedingt frühen Dämmerung ins Mühlviertel notwendig machte.
Das Ende der Filmaufnahmen im Sommer zeichnete sich dann zeitgerecht bei den letzten beiden Szenen in einem Park am Linzer Bauernberg ab: Der doch abrupte „Drehschluss“ erfolgte direkt nach dem Sprung einer Darstellerin von einem Baum auf den rechten Vorderfuß der Regie – Diagnose: „Ruptur der Vene“ … – Kein wirkliches Problem für den dann folgenden Filmschnitt …
Die vier Lieder schildern die Gefühle & Gedanken eines Gesellen, der in der Zeit seiner Wanderschaft versucht, eine unglückliche Liebschaft zu verarbeiten. Das Sujet des Liederkreises weist insoweit Ähnlichkeiten mit Franz Schuberts Zyklen Die schöne Müllerin und Winterreise auf, die vom Komponisten beabsichtigt sind.
„Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh’ ich wieder aus“ – mit diesen Versen beginnt die „Winterreise“, einer der bekanntesten Liederzyklen der Romantik, mit dem Schubert eine Darstellung des existentiellen Schmerzes des Menschen gelang. Im Verlauf der Lieder wird der Hörer immer mehr zum Begleiter des Wanderers, der zentralen Figur der Winterreise. Dieser hat nach einem Liebeserlebnis, das bereits vor Beginn des Liederkreises abgeschlossen ist, Liebe und Geborgenheit bewusst und aus eigener Entscheidung hinter sich gelassen und zieht ohne Ziel und Hoffnung hinaus in die Winternacht. Eine Reise in das NICHTS? In die Kälte des Todes …
Ich mußt’ auch heute wandern
Vorbei in tiefer Nacht,
Da hab ich noch im Dunkel
Die Augen zugemacht.
Und seine Zweige rauschten,
Als riefen sie mir zu:
Komm her zu mir, Geselle,
Hier findst Du Deine Ruh!
Das lyrische Ich fühlt sich stark zum Baum hingezogen und muss beim Vorbeiwandern die Augen schließen und sich zwingen, sich nicht umzudrehen, da der Lindenbaum eine ungeheure Anziehungskraft auf es auswirkt. Der Vers Du fändest Ruhe dort lässt sich als Todessehnsucht ausdeuten …
Schuberts Lied und Zyklus hat aber auch spätere Komponisten inspiriert. So sind Gustav Mahlers Lieder eines fahrenden Gesellen sowohl von der textlichen Intention als auch in kompositorischen Details deutlich von der Winterreise bzw. Dem Lindenbaum (viertes Lied bei Mahler: „Auf der Straße stand ein Lindenbaum, da hab ich zum ersten Mal im Schlaf geruht …“) beeinflusst – siehe auch 1. Symphonie / im 3. Satz:
Auf der Straße steht ein Lindenbaum,
Da hab‘ ich zum ersten Mal im Schlaf geruht!
Unter dem Lindenbaum, der hat
Seine Blüten über mich geschneit,
Da wusst‘ ich nicht, wie das Leben tut,
War alles, alles wieder gut!
Alles! Alles, Lieb und Leid
Und Welt und Traum
(Gesellenlied 4 – Mahler)
O Augen blau, warum habt ihr mich angeblickt?
Nun hab‘ ich ewig Leid und Grämen.
Ich bin ausgegangen in stiller Nacht
Wohl über die dunkle Heide.
Hat mir niemand Ade gesagt.
Ade! Mein Gesell‘ war Lieb‘ und Leide!
(Mahler – Lied 4)
Die Recherchearbeit zum Film führte die Regie zum kleinen Mahler-Theater nach Bad Hall und nach Kassel, wo bei der „Documenta“ nix im Tourismusbüro dokumentiert war über den ehemaligen Kapellmeister, obwohl man über die „Mahler-Treppe“ vom Documenta-Gelände aus dorthin vordringt: „Theater – welches Theater“? – erst über eine Google-Anfrage konnte dieses Mysterium gelöst werden: Das ehemalige Theater versteckt sich heute in einem Museumsbau … Dabei handelt es sich aber nicht um das berühmte Grimm-Museum, wo die Fadinger ihre fernöstliche Rotkäppchen-Variante „Lot Cape Chen“ präsentieren durften, sondern um das Naturkundehaus neben dem neuen, heutigen Staatstheater.
125 Jahre später begibt sich ein junger weiblicher Mahler-Fan gekleidet wie sein Vorbild auf eine letzte Winterreise, startet das Auto und lauscht der Lieblings -CD … „Die Lieder eines fahrenden Gesellen“ lassen den Lärm des Gefährts ebenso wie das Grau des Alltags hinter sich und lösen eine Flut von Bildern aus, die sich synchron zur Musik immer mehr verdichten – die “Fahrt der Gesellin” durch die fahle Mahler-Welt zu ebensolcher Musik des verehrten Meisters und ihr letales Ende sind Gegenstand der Fadinger Visualisierung zum 100. Todesjahr
Im Programm der MAHLER-FESTWOCHEN TOBLACH
Was für ein Mahler-isches Gefühl: Man kommt gerade vom einsamen Toblacher „Komponierhäuschen“, geht auf das „Grandhotel-Festspielhaus“ zu, das in der Abendsonne rötlich erstrahlt – es flattern knatternd die Fahnen mit dem Konterfei des Komponisten und plötzlich steht man vor großen Litfaßsäulen auf denen „Mahlers Winterreise„ großformatig angepriesen wird …
HIER DAS V I D E O:
Im Radio-Gespräch >>> mit Maestro Roberto Paternostro
Vor einem Jahr hatte man noch beim und im OÖ. Komponierhäuschen auf dem Areal des Gasthofs Föttinger in Steinbach am Attersee gedreht. – Das Sommerdomizil des „Ferial-Komponisten“, der sich dort bedingt durch seine „Lärmempfindlichkeit“ von der Umwelt abschottete, um die Naturstimmung einzufangen und für die Nachwelt in der 3. Symphonie zu konservieren. Heute befindet sich dieses „Refugium“ auf einem arg hektischen Campingplatz … – „Was mir die Blumen auf der Wiese erzählen“ … (?)
Komponierhäuschen – Gasthof zum Höllengebirge/Föttinger –Steinbach am Attersee
So stand die Filmkamera zwischen Wohnwägen, Luftmatratzen und Surfbrettern. Tage davor war die Suche nach einem duftig gelb leuchtenden Rapsfeld positiv verlaufen: Unterhalb des Freibergsenders war man fündig geworden und so konnte Tödin Anna dort ihren gewundenen „Wanderstab“ statt einer Sense durchs morgendlich taufrische Gras streifen lassen.
„Ging heut morgen übers Feld, Tau noch auf den Gräsern hing“ (Mahler – Lied 2)
Premiere von „Mahlers Winterreise“ am OK-Mediendeck
Wie so oft fand auch beim Mahler-Film die Erstpräsentation am OK-Mediendeck statt: Claudia Werner (Absolventin / damals Pressesprecherin im Brucknerhaus) – eine sehr gefragte Moderatorin und exzellente Medienfrau führte durch den Abend – hier dazu einige Eindrücke im >>> FRECHen RADIO
Short Version of MAHLERs WINTER JOURNEY in English
Manfred Pilsz (- im Gedenken zwischen Geburts- & Todestag Mahlers) / im Gedenkjahr 011
Hinweis nur für „Digital Naives“: Worte dieser Farbgebung verstecken Infos, Bilder …, die durch einen linken „Maus-Klick“ aktiviert werden können !
AGNUS BENEDICTUS – Mahlers Lehrer Anton Bruckner in einer Visualisierung
Mehr zum Musikfilm-Papst Titus Leber
Obigen BLOG-Beitrag gibt‘ auch als Radio-Sendung: https://cba.fro.at/571457 <<<