KUNST & PROZESS / WAGNER & NÜRNBERG
Ein kurz eingeblendeter Vorworttext und schon bricht die Ouvertüre los – „Kein stiller Herd in Winterszeit“, sondern ein hektisches Treiben im Hause Wahnfried, wo Wagner höchst darselbst, wie einst in seiner echten Biographie (auch auf Reisen) mit Familie und Entourage eigene Werke im häuslichen Salon zur Aufführung brachte. Cosima, diesmal auch Schwiegerpapa Liszt, Hermann Levi und Co. werden dabei ins bunte, vorerst noch nonverbale Treiben von Wagner in „Eigen-Regie“ integriert. Gemeinsam mit Liszt zaubert er vierhändig Klone seiner selbst aus dem Flügel, die in der Folge als Stolzing, David usw. reüssieren. Weiters übernimmt er die Rolle von Meister Sachs und Cosima die Eva – Kosenamen, die sich die beiden auch im echten Leben wechselseitig gaben. Liszt (ein Sonderlob für die Visagisten) wird dabei natürlich die Vaterrolle des Veit Pogner zugedacht. Dies alles klingt nach Parodie, oder kommt einem schrägen Filmsujet von Ken Russell nahe, doch weit gefehlt: Es handelt sich um die Premierenvorstellung der diesjährigen Festspiele, genial aufgelöst und im 1. Aufzug durchaus schlüssig und passend komödiantisch, wie intelligent umgesetzt von Barrie Kosky, dem u. a. von seinen Arbeiten an der Komischen Oper Berlin bestens bekannten Regisseur. Köstlich wie er beispielsweise Wagner Levi nötigen lässt nach dem „gemeinsamen“ Gebet im Spiel die Rolle von Beckmesser zu übernehmen. Das Konzept von Kosky wird hier noch getoppt von der alles in den Schatten stellenden Personenregie, die für die dichtest mögliche Bühnenpräsenz speziell bei „Freiung, Zunftberatung und Probesingen“ sorgt:
Die Mao-Bibel-ähnliche Tabulatur wird von „Headbangenden“ Meistern abgenickt, Stolzing erklimmt den Singhochstuhl am Deckel des Klaviers und wir erleben den glücklichsten Richard/Sachs, wenn Klon Stolzing die Meistersippe aufmischt, während er selbst Levi/Beckmesser in dieses laufen lässt und die Leviten liest, bis sich der 1. Akt im wahrsten Sinne des Wortes nach hinten verrollt und Wagner/Sachs sich plötzlich nur kurz angedeutet bei „Versungen und vertan“ im späteren Bühnenbild des 3. Akts wiederfindet. Mit dem berechtigten frenetischen Applaus des Premierenpublikums geht’s in die Pause.
Bewahrt euch vor Gespenstern und Spuk,
daß kein böser Geist eur‘ Seel‘ beruck‘!
An den preiswürdigen 1. Teil schließt ein „Johannisnächtlicher Summernightdream“ an. Eine „Nachtwächter-Vollmonduhr“ mahnt die Zeit ein, die auch ganz bewusst gegen Ende rückwärts laufen kann …
Wahnfried wird zur nächtlichen Festwiese in Form einer Reduktion auf ein schlichtes Naturbild, statt der beschaulichen Gassen von Alt-Nürnberg. Die Lehrbuben springen herum als Abbilder ihrer alten Meister wie Kobolde und Geister. Der Rest ist ein Kammerspiel auf der Flieder-„Wiesn“, das wahrlich böse endet, wenn Sachs/Richard den Stadtschreiber einer wilden, nächtlichen Horde in Tollerei und Gewalt überlässt und ein stigmatisierter Beckmesser als Judenkarikatur im „Nazi-Stil“ aufgeblasen in voller Bühnengröße zurückbleibt, die schließlich in sich zusammensinkt, bis nur noch der Davidstern auf dessen Kippa, vom Dunkel beim Schlusston des Orchesters verschluckt wird. Sachs/Richard drückt sich dabei erschrocken ins Eck, als er erkennt, was hier scheint’s ausgelöst wurde.
Höchst merkwürd’ger Fall!
Ausgehend vom Sachs-Zitat:
Ist jemand hier, der Recht mir weiß,
der tret‘ als Zeug‘ in diesen Kreis!
– entspinnt sich das Bühnenbild des 3. Aufzugs, der im Verhandlungssaal des Nürnberger Prozesses spielt und in dem Schusterstube, sowie schlussendlich auch die „Festwiese“ angesiedelt sind. Wie beim Wahnfried des 1. Akts ist auch hier der Saal so exakt nachgebaut, dass man spätestens, wenn sich der Raum mit Menschen füllt, die Frage stellen muss, ob es von Bedeutung ist, dass die Regie den einfachen „Bürger Normalverbraucher“ auf der Anklagebank unterbringt, denn die Meisterjury nimmt ja wahrscheinlich auch nicht von ungefähr auf den mittigen Richterstühlen Platz. Wahn! Wahn! Überall Wahn! (Sachs) – Hier werden Weisen geboren, getauft, unfertig weiter gegeben, fremd verwendet, umgetextet, ver- und gesungen – Hier werden auch Anklagebänke zu Festtribünen, es geht drunter und drüber …
Und nachdem Beckmesser und dann Eva mit ihrem „Meister-Verweigerer“ („Will ohne Meister selig sein !“) Walther die Bühne verlassen hat, gehen auch alle anderen „Mitspieler“ ab, als Wagner/Sachs nun selbst im Zeugenstand die „Achtung vor den Meistern“ einmahnt, bevor er das Dirigat des „Bühnenchororchesters“ übernimmt. Ab hier gilt´s wahrlich einzig und allein der Kunst, die sich so dem Auditorium vermittelt. Der Vorhang geht zu und viele Fragen bleiben offen … speziell bezogen auf den Schlussteil. Eine Deutung, die zum Diskurs einlädt.
Die musikalische Seite blieb nichts schuldig – niemand hat „Versungen und vertan“:
Untadelig Dirigent Philippe Jordan, der wunderbar abgestimmt auf Sänger und Regie mit feiner Klinge meisterlich zu Werke ging. Selbst David – optimal Daniel Behle – hätte hier alle Regeln der Kunst erfüllt gesehen. Auch mit seiner Lene Wiebke Lehmkuhl konnte er vollends zufrieden sein – ebenso mit Chor und Orchester. Verlässlich, ja „Morgendlich leuchtend“ und zur Stimme passend (Vergl. Tannhäuser München) Klaus Florian Vogts Walther. Die Eva von Anne Schwanewilms schien manchmal etwas zu grell und zuviel Cosima. Absolute „Hügelklasse“ stimmlich wie schauspielerisch: Der Beckmesser von Johannes Martin Kränzle und Michael Volles Hans Sachs.
Manfred Pilsz aus Bayreuth
Anmerkung zur Untertitelung (leicht zeitversetzte Kinoübertragung): Die Sänger waren vergleichsweise wesentlich > textsicherer <!
Siehe auch: Freunde des Musiktheaters & RWV Linz/OÖ
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